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Angela Merkel hat getan, was zuvor nur Konrad Adenauer erlaubt war. Noch bevor sie als neu gewählte Bundeskanzlerin mit ihrer Regierungserklärung vor den deutschen Bundestag trat, sprach sie vor dem amerikanischen Kongress. Die Gruppe rauml3 Theater Fraktion Köln will in ihrem neuen Projekt »Adenauer trifft Generation Y« die Brücke schlagen vom ersten Kanzler zur bislang letzten Kanzlerin in Deutschland; will die Bundestagswahlen von 1949 und 2009, die Regierungserklärungen von damals und heute sowie die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontexte vergleichen.
Dazu werden Jungwähler der Urnengänge vom 15.9.1949 und vom 27.9.2009 befragt.
Als Vorbild dient dem Theaterduo Anja Kolacek (Regie) und Marc Leßle(Raum, Licht, Video) das Videoarchiv »Erlebte Geschichte« im NS-Dokumentationszentrum. Mit der Digicam sind die beiden losgezogen und haben an öffentlichen Plätzen die Vertreter der Generationen der über 80 Jährigen und unter 30 Jährigen um Statements gebeten: zu ihrer politischen Einstellung, zu Sorgen und Hoffnungen oder auch zu einer gesellschaftlichen Utopie.
Beherrschendes Thema der Jungwähler von heute, so Anja Kolacek, sei die Angst vor dem Verlust des sozialen Status'. Von den Politikern erwarten sie dabei genauso wenig wie die Jungen von 1949, die nach zwölf Jahren Nazidiktatur politikverdrossen reagierten und sich aufs Überleben konzentrierten.
Die Statements werden in die Theaterarbeit »Adenauer trifft
Generation Y« einfließen, die das NS-Dokumentationszentrum und die U-Bahnstation Appellhofplatz als Spielorte nutzt und alte und junge Zeitzeugen selbst auf die Bühne bringt. Der Schauspieler Heinrich Baumgartner agiert als Moderator.
Zugleich haben Kolacek und Leßle eine sogenannte »Polisbox« entworfen, deren plastische Version derzeit als mobile Recherchestation im öffentlichen Raum dient. Als virtuelle Plattform ist sie unter www.polisbox. de im Internet zu finden. Dort können die Videointerviews mit den Zeitzeugen nach der Premiere abgerufen werden. Beide Boxen, die mobile Station und ihre Onlineversion, sollen langfristig als politische Diskussionsforen dienen.




Als 1949 die Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde, lebte Wolfgang Schefuß mit Mutter und Schwester in einem elf Quadratmeter großen Zimmer in St. Pauli und bekam Asthma, weil die Situation so beengt war. Da er gerade die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule geschafft hatte, war er trotz allem „vollkommen zufrieden".
Schefuß erzählt in dem dokumentarischen Theaterprojekt „Adenauer trifft Generation Y", nicht nur, wie er die Gründung der Bundesrepublik erlebt hat, er spricht auch über seine Träume und sein Verhältnis zur Politik. Neben Zeitzeugen wie Schefuß porträtiert Anja Kolacek von „raum 13 Theater Fraktion Köln" auch Menschen zwischen 16 und 23 Jahren, die sie der „Generation Y" zuordnet. Aus Interviews mit den Darstellern, von denen die wenigsten Schauspielerfahrung haben, ist ein Bühnenstück entstanden. „Sie haben keinen festen Text, antworten frei auf bestimmte Fragen", sagt Kolacek. Der Spielort wechselt - auch die Haltestelle Appellhofplatz wird zur Bühne.
Das Projekt, das in Zusammenarbeit mit dem NS-Dokumentationszentrum entwickelt wurde, stellt Konrad Adenauers und Angela Merkels Antrittsreden analytisch gegenüber. Menschen, die damals jung waren und Menschen, die heute jung sind, geben dazu eine Vision der Gesellschaft ab, in der sie gerne leben würden.

Die Premiere findet am Samstag, 5. Dezember, um 19.30 Uhr im NS-Dokumentationszentrum, Appellhofplatz 23-25, statt.
Karten gibt es untere 02 21/2 21-2 43 40. www.polisbox.de




"Adenauer trifft Generation Y" thematisiert Wünsche, Hoffnungen, Vorstellungen von Jungwählern und älteren Zeitzeugen deutscher Geschichte. Im langen Tunnelgang unter dem Appellhofplatz wurde das Stück erstmals aufgeführt.

Innenstadt - Es wirkt wie eine Szene der Winternothilfe in der Nachkriegszeit: Im langen Tunnelgang, der die beiden U-Bahn-Haltestellen unter dem Appellhofplatz verbindet, sind zahlreiche Menschen in warmer Kleidung versammelt. Klappstühle reihen sich an den gekachelten Wänden, Tische sind aufgestellt, und aus einem Kessel wird Erbsensuppe mit Wurststücken ausgegeben. Die Szene bildet den Schluss des Bühnenstücks „Adenauer trifft Generation Y", das am Samstagabend uraufgeführt wurde. Eingeladen war ins NS-Dokumentationszentrum, doch die Besucher mussten sich in der Zwischenebene der nahe gelegenen U-Bahn-Station einfinden.

Kontrast als Grundidee

Im Bereich des Zugangs zu den Bahnsteigen der Linie 5 und im Tunnel wurde geboten, was die Gruppe „raum13 Theater Fraktion Köln" unter Leitung von Anja Kolacek und Marc Leßle entwickelt hat. Grundidee ist die Gegenüberstellung der Lage der Bundesrepublik bei ihrer Gründung und 60 Jahre später. Dafür haben die Künstler auf Kölns Straßen persönliche Erlebnisse von damals und heute recherchiert: Jungwähler und Zeitzeugen, die die Gründung der Bundesrepublik und die Wahl zum ersten Bundestag miterlebt haben, wurden befragt - zu ihrem Leben, ihren Hoffnungen, ihrem Verhältnis zu Politik und ihren Vorstellungen von einer besseren Gesellschaft. In Kombination mit historischen Dokumenten entstand daraus das Bühnenstück. Ein Teil der Befragten wirkte bei der Aufführung mit.

Durch das Stück führt Schauspieler Heinrich Bamgartner. Zu seinen Aufgaben gehört, den Ablauf mit Fragen zu strukturieren wie: Was ist Ihre größte Sorge? Warum wählen Sie? Wie sieht für sie eine lebbare Utopie aus? Was ist Heimat für Sie? Außerdem fällt ihm in der zweiten Hälfte der Part zu, die Antrittsrede Konrad Adenauers vom 20. September 1949 vorzutragen; vom Band kommt danach die von ihm verlesene Regierungserklärung, die Angela Merkel als wiedergewählte Kanzlerin gehalten hat - und die in der Schlussszene mit Publikumsbeteiligung untergeht. Die Aussagen der Anwesenden sind ohnehin wichtiger. Sie reichen von der Angst, ein Pflegefall zu werden, über die Enttäuschung, dass es an „profilierten Politikern" mangele, und die Forderung, Studenten müssten mehr Mitspracherecht haben, bis zur Kritik daran, dass die Heirat mit „Importbräuten" die Integration der Türken erschwere.

Die älteren Zeitzeugen, darunter der langjährige CDU-Kommunalpolitiker Adolf Hellmich, lassen die Nachkriegszeit gegenwärtig werden. Wo der eine schilderte, wie er den Einmarsch der Roten Armee in Prag miterlebte, erzählte die andere, wie groß ihre Freude darüber war, dass nach der Währungsreform eine besondere Frucht wieder im Lebensmittelsortiment auftauchte: „Es gab Ananas!"




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