Adenauer trifft Generation Y
60 Jahre Bundesrepublik

Magdalena Schneekluth

Wohnort: Köln



Wie sehen Sie Ihr Leben? Was ist Ihre größte Sorge/Angst, was ist Ihr größter Wunsch?
Wenn ich an mein Leben denke, würde ich sagen, es ist ein erfülltes Leben. Ich habe vieles erreicht und bin damit sehr zufrieden. Sorge macht mir eigentlich nur, was wir auch hier im Haus sehen, wie sich ein Leben verändern kann und das einem das möglichst erspart bleibt. Ich möchte kein Pflegefall werden. Ich möchte solange ich lebe mir selbst helfen können. Das wäre mein größter Wunsch.



Was könnten Politiker für Sie bewirken/beitragen/tun?
Nein. Eigentlich fehlt hier in den Seniorenhäusern nur das Geld. Dann könnten alle Wünsche erfüllt werden. Es fehlt Pflegepersonal und da fehlt einfach das Geld. Ich kann mir nicht vorstellen, dass uns die Politiker mehr zusichern, denn es muss ja irgendwo her kommen. Nein, von da sehe ich keine Hilfe.



Warum wählen Sie? Warum wählen Sie nicht?
Seit ich Wahlrecht habe, habe ich alle Wahlen wahrgenommen. Ich denke, dass das auch notwendig ist, um ein Gesamtbild für die Politik zu machen. Denn das ist ja die Grundlage für die politische Arbeit. Ich denke, das ist schon wichtig und ich versuche viele zu ermutigen, dass sie wählen gehen. Es sind doch viele, die nicht zur Wahl gehen, auch hier im Haus.



Was hoffen Sie für die Zukunft? Ihre persönliche Zukunft und die Zukunft Deutschlands, ggf. der Welt?
Dass Kriege nicht mehr notwendig sind. Leider erleben wir das ja immer noch. Die Menschen, die dafür zur Verfügung gestellt werden, haben oft nicht den gleichen Willen. Die werden ja in den Krieg geschickt. Mir tun die Soldaten leid. Wir haben auch immer die Soldatenfriedhöfe besucht, auch wenn wir im Ausland waren. Die Menschen hätten ja alle noch leben können, das waren ja alles unsere Zeitgenossen. Das finde ich schlimm.
Ich denke sicher, dass die Politik es schafft, mit der Zeit, am Grünen Tisch zu regeln, was zu regeln ist. Aber das wird sicher noch eine Weile dauern. Oder, dass es Menschen gibt, die sich in die Luft sprengen, um andere mit aus dem Leben zu reißen, nein da habe ich kein Verständnis für.
Für Deutschland wünsche ich mir auch, dass es ein friedliches Deutschland bleibt und dass wir noch mehr zusammenwachsen. Denn es ist ja noch nicht das Deutschland, was wir mal waren. Es wird doch noch sehr stark nach Ost und West abgewogen. Das hat es ja früher nicht gegeben. Ich wünsche mir, dass wir wieder ein schönes einheitliches Deutschland werden und vielleicht auch die abgetrennten Gebiete wiederkriegen. Denn Schlesien und Ostpreußen sind deutsch. Das würde ich mir wünschen.



Wie sieht Ihre Utopie für eine lebbare Gesellschaft aus?
Die Demokratie an sich gefällt mir gut. Ein Land demokratisch geführt ist schon eine gute Sache, auch wenn wir manchmal glorreich an das Kaiserreich zurückdenken. Aber so glorreich war das sicher nicht. Also ich finde eine demokratische Ordnung für uns gut.



Welche Rolle spielt Politik in Ihrem Leben? Engagieren Sie sich in irgendeiner Form politisch?
Politisch bin ich nicht aktiv und war ich auch nicht. Ich habe meine Prinzipien, wie das Land geführt werden soll. Meine Haltung war immer durch den Glauben geprägt. Ich habe über den Glauben Gemeinschaften aufgesucht wie z.B. Kolping oder die Pfadfinderei, aber rein politisch, nein.



Wie lautet Ihr Wahlspruch?
Wir haben ja unseren Glauben. Die drei Säulen der Pfadfinderei sind Glaube, Nächstenliebe und Gehorsam. Allzeit bereit. Und das täglich zu üben, ist gar nicht so einfach.
Allzeit bereit ist die Überschrift über unser Leben und dazu gehört, dem Nächsten zu dienen, zu helfen, wenn er Hilfe braucht.



Was bedeutet es für Sie in Deutschland zu leben? Ist Deutschland Heimat für Sie?
Ich liebe Deutschland über alles. Deutschland ist meine Heimat, unbedingt. Ich respektiere jedes Land, aber für mich ist es fremd, dass Menschen aus unterschiedlichen Ländern so zusammenkommen.



Wie und wo haben Sie das Kriegsende am 8.Mai 1945 erlebt?
Ich kam aus dem Sudetenland und war auf dem Weg nach Bayern und dann kam das Kriegsende. Dadurch bin ich in Gefangenschaft gekommen, nach Deckenorf. Da musste man sich zuerst ausweisen, warum man da gelebt hat. Ich war mit der Schule von Bergisch-Gladbach, im Zuge der Kinderlandverschickung, mit der ganzen Schule dahin verlegt worden. Ich war damals als Schulhelferin mit, weil ich damals Externabitur gemacht habe. In Köln war ja zu der Zeit nix mehr.
Wir kriegten Ende ’44 in Köln ja keine Lebensmittelmarken mehr.
Meine Mutter war mit meiner Schwester in Sachsen evakuiert und da kam ich zu der Zeit nicht mehr hin, weil das besetzt war. Ich wollte dann also nach Bayern. Bin dann in Gefangenschaft geraten. Ich konnte aber nach der Gefangenschaft dann nach Sachsen. Ich bin dann einem Transporter nach Sachsen zu meiner Familie. Damals lebte meine Schwester noch. Die ist dann aber noch in der Evakuierung gestorben. Und dann haben wir dort den Einmarsch der Russen erlebt, am 8. Juli, vorher war das amerikanisch. Das war zwar ein ungemütliches Empfinden, aber getan haben die mir nichts.
Ich ging von unserem Dorf eine Stunde zur katholischen Kirche. Ich musste durch die Kommandanturen durch und die haben dann auch gegrüßt. Die wollten einem da wirklich nichts. Ich könnte da nichts Nachteiliges sagen. In unserer Umgebung ist auch nichts passiert. An anderen Orten hörte man mal von Überfällen, wo die Frauen zusammengepfercht wurden in ein Zimmer oder so, aber das habe ich alles nicht erlebt. Gott sei Dank.

Wir sind dann im Dezember 1945 mit einem Kohlenwagen wieder nach Köln gekommen. Mit einem offenen Kohlenwagen, am 4. Dezember ’45. Da waren wir ganz krumm und wurden gar nicht mehr gerade vor lauter Kälte. Aber es ist ja gutgegangen. Und wir hatten auch noch unsere Wohnung, weil mein Vater war ja dageblieben.

Wir waren dann sehr, sehr arm, an Lebensmitteln und an allem. Das war schon sehr schwierig. Gott sei Dank hatten wir einen Schrebergarten, sodass wir daraus etwas leben konnten.
Ich ging schon sehr früh wieder meiner Arbeit im Büro bei einer Baufirma nach. Zu hamstern hatte ich keine Zeit. Meine Schwester war ja auch gestorben und ich musste mich enorm um meine Eltern kümmern, studieren konnte ich leider nicht.
Abends haben wir Kartoffeln nachgeharkt und Ähren nachgelesen, wo die Felder freigemacht waren.
Denn es gingen ja bis zur Äußeren Kanalstraße, dahinter waren ja alles Felder. Was ja heute alles bebaut ist. Und da haben wir dann Felder nachgelesen. Das war eigentlich unser einziges Erwerben, sonst hatten wir nix.
Im Krieg haben wir ja noch Zusatzmarken bekommen, für besonders gefährdete Städte. Man hat dann erst nach dem Krieg gesehen, dass das enorm viel war. Wir haben z.B. die doppelte Menge an Fleisch bekommen und nach dem Krieg war das alles sehr bescheiden und wenig.
Der Schrebergarten hat uns über Wasser gehalten.
Ich glaube, die Lebensmittelkarten musste man sich auf dem Bezirksamt holen.

Freizeit hatten wir, aber wir hatten ja nix zum unternehmen. Also Kino oder so kann ich mich in der Zeit nicht erinnern. Theaterabo hatten wir, da sind wir noch mit Wolldecken hin. Ende ’45 sind wir wiedergekommen und bestimmt zur Spielzeit ’46 also im September hat das Theater wieder angefangen. Und das war in der Uni im großen Saal und alle haben Wolldecken mitgebracht.
Meine Eltern haben sehr viel Wert auf Theater gelegt.

Kriegsende war schon eine Erleichterung, aber wir haben in der Zeit nicht wirklich gelitten. Wir haben uns sehr diskret benommen. Meine Mutter stammte aus einer jüdischen Familie, aber als Halbjüdin brauchte sie sich nicht zu melden. Wir wollten auch nicht, dass das bekannt wurde. Wir sind da sehr gut durchgekommen.
Nur als ich ’45 einen Antrag auf einen Studienplatz gestellt habe, da kriegte ich die Unterlagen zurückgeschickt. Da hatte ich geschrieben, von meiner Großmutter hätte ich keine Unterlagen, die seien in Hamburg verbrannt. Das haben sie mir wohl nicht geglaubt.

Wir waren natürlich sehr erleichtert, dass wir uns jetzt nicht mehr so in Acht nehmen mussten. Aber durch den Tod meiner Schwester war alles überschattet. Wir mussten sie auch zurücklassen und konnten sie nicht überführen.

Hier in Köln waren Engländer und Belgier.



Was hat die Währungsreform 1948 für Sie bedeutet?



Wie haben Sie 1949 die Gründung der Bundesrepublik Deutschland erlebt?
Wir haben das schon sehr verfolgt, weil, Adenauer war ja vorher Oberbürgermeister von Köln.
Man kannte ihn ja als Persönlichkeit und er hat ja viel für Köln getan. Als er dann Kanzler wurde, wurde das bei uns sehr gut aufgenommen.
Das Deutschland geteilt wurde, das war natürlich nicht schön, weil ja Sachsen auch abgeteilt war. Wir konnten dann nicht mehr rüber. Das war schwierig. Wir konnten ja nicht ans Grab meiner Schwester. Wir haben das nicht auf uns genommen, über die Grenze zu gehen. Da hatten wir keine Traute. Auch haben wir mitempfunden, dass die Leute es da drüben viel schwieriger hatten als wir. Die Kontakte sind dann auch abgebrochen. Die haben dann auch nicht mehr geschrieben. Vielleicht durften sie es auch nicht, man weiß es nicht. Wir haben dann nichts mehr von unseren Leuten gehört, mit denen wir eigentlich einen guten Kontakt hatten.
Hier in Köln gab es viele kleine Parteichen, die die Welt verändern wollten. Wir haben das alles sehr genau im Radio verfolgt. Ich bin zu der Zeit auch mal in Bonn gewesen, um mir ein Bild machen zu können, wie das überhaupt so alles funktionier. Und da ging es in heißen Diskussionen
her. Das war hochinteressant. Wenn man das alles mal in Natura sah, das war ja alles total neu. Heute kennt man das ja und kann das im Fernsehen nachverfolgen. Aber das kannte man ja gar nicht. Ich habe danach auch alles ein bisschen mit anderen Augen gesehen.

Das Grundgesetz ist ja auch lange diskutiert worden, bis das dann mal zum Durchbruch kam. Da sind bestimmt Monate ins Land gegangen, dass haben wir über die Nachrichten verfolgt.
Ich glaube, wir haben ja damals das Grundgesetz aus der Zeitung ausgeschnitten und zur Seite gelegt. Aber man ja damals nicht alles so zerredet wie heute. Wir hatten ja auch anderes zu tun.



Was für Hoffnungen hatten Sie damals bei Gründung der Bundesrepublik Deutschland?
Dadurch dass wir Adenauer als Oberbürgermeister kannten, der hat ja den Stadtwald und den Grüngürtel, das ist ja alles durch ihn gemacht worden, dadurch hatten wir natürlich die Erwartung: Jetzt wird alles anders, der macht das schon.
Der war ja voller Tatendrang. Man hat nicht nur gehofft, wir waren sicher, dass der das macht. Wir sind alle mit einem sicheren Gefühl da reingegangen.

Es hat sich ja auch die Kirche eingemischt. Es haben ja da auch im Dritten Reich Leute versucht, ihre politische Meinung zu verdeutlichen. Die wurden ja teilweise von ihren Kanzeln runtergeholt.
Das hat sich dann keiner mehr getraut. Aber als dann die politische Richtung wieder erkennbar war, hatte die Kirche ja auch wieder Oberwasser und auch wieder was riskiert. Die Kirche hat aufgerufen mitzumachen, sich einzubringen. Die Kirche hat dann schon sehr viel für die Jugend getan. Die jungen Leute waren ja damals nicht wirklich ausgerichtet. Die sind ja da so reingeschlittert, und da ist schon viel getan worden, dass man auch nach rechts und links schauen soll und nicht nur mit Scheuklappen durch die Gegend läuft. Das hat sich die Kirche damals herausgenommen und das ist eigentlich sehr gut angekommen.

Köln war schon sehr katholisch und wir hatten auch sehr gute Hirten damals. Die waren sehr volksnah. Das ist ja heute nicht mehr so. Das wurde ja in den 70er 80er Jahren anders.



Was waren aus Ihrer Sicht 1949 die wichtigsten Themen für Sie persönlich und für die Menschen mit denen Sie zu tun hatten? In welcher Form haben Sie sich damit beschäftigt?
Ich war ja schon im Beruf. Dadurch, dass meine Schwester verstorben war, war ich sehr auf meine Eltern fixiert und hatte nix nebenbei. Dann kam irgendwann ein Mädchen aus der Pfarrei vorbei und fragte, ob ich nicht bei der Jugendgruppe helfen könnte. Meine Eltern sagten: Mach doch, tu doch, hilf doch. So bin ich großgeworden. Meine Eltern haben immer geholfen, auch im Krieg. Und so bin ich dann in die Jugendarbeit reingerutscht. Dann haben wir Pfadfinder betrieben. Das war eine klare Ausrichtung, die Pfadfinderuniform ist ja entstanden, damit Arm und Reich nicht auseinanderklaffen. Das hat mir gefallen. Nächstenliebe, Glaube, Treue sind die drei Säulen, die der Mensch braucht, um in der Gesellschaft zu existieren und ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft zu werden. Und das habe ich versucht zu leben. Ich glaube, das fehlt der Jugend heute. Wir mussten bei den Pfadfindern auch viele Prüfungen machen, wir wurden dann nochmal geschult. Eine Ausrichtung, ein Ziel ein Glaube ist wichtig.



Was waren aus Ihrer Sicht nach 1949 die wichtigsten Themen für Sie persönlich und für die Menschen mit denen Sie zu tun hatten? In welcher Form haben Sie sich damit beschäftigt?




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