Adenauer trifft Generation Y
60 Jahre Bundesrepublik

Adolf Hellmich

Wohnort: Köln
portraitiert am 14.10.2009



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Wie sehen Sie Ihr Leben? Was ist Ihre größte Sorge/Angst, was ist Ihr größter Wunsch?
Zwiespältig. Zum einen ist die Situation, dass ich seit kurzer Zeit Witwer bin. Dass man allein ist und sich fragt: Wie wirst Du fertig mit allem? Objektiv gesehen, klappt das recht gut.
Die Sorge ist, wie geht das weiter? Wie ist Deine gesundheitliche Entwicklung? Die normale Alterssorge, die durch das Witwersein verstärkt wird. Aber ich habe keine Angst vor dem, was kommt. Im Grunde habe ich den Wunsch, gesund zu sterben. Aber noch nicht.
Für meine Generation wünsche ich mir, dass vernünftige Pflege sichergestellt wird.



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Was könnten Politiker für Sie bewirken/beitragen/tun?
Die Frage ist eigentlich gar nicht zu beantworten. Ich betrachte es als Pflicht, als ein Vergnügen, besonders wenn ich die ganzen Jahre sehe, wo ich aktiv Wahlkampf betrieben habe. Wo ich auf der Strasse gewesen bin, Hausbesuche, Versammlungsschutz… Es ist Normalität.



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Warum wählen Sie? Warum wählen Sie nicht?
Ich habe das Glück gehabt, mein Leben lang, Politik mit zu gestalten.
Um es mir bequem zu machen, habe ich bei den letzten Wahlen von der Briefwahl gebrauch gemacht.



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Was hoffen Sie für die Zukunft? Ihre persönliche Zukunft und die Zukunft Deutschlands, ggf. der Welt?
Gesund sterben.
Ich habe aber auch nicht den Wunsch, von jetzt auf sofort zu sterben. Ich weiß nicht, ob man nicht eine Zeit braucht, um zu überlegen, den Tod.
Ich bin schon mal halb gestorben als Verwundeter. Ich meine, man braucht eine Verabschiedungszeit. Also das merke ich auch bei vielen anderen Leuten, mit denen ich berufsmäßig zu tun gehabt habe.
Für Deutschland wünsche ich mir eine positive Entwicklung. Doch so eine Art Volksgemeinschaft.
Dass die politischen Unterschiede nicht zu körperlichem Streit werden. Auseinandersetzungen sollten schon mündlich sein.
Für die Welt hoffe ich, dass sic ein paar Grundprinzipien sich durchsetzen: Verzicht auf Gewalt, dass die Leute nicht hungern müssen. Wobei ich immer denke: Müssen die denn hungern, kann das nicht vernünftig laufen? Da hätte ich gerne was getan, aber nun ist ja vorbei.
Dass sie ihre religiösen Dinge zurückstellen, besonders hier in Deutschland. Ich habe mir gedacht, dass z. B. ein Türke auf kurz oder lang ein nettes deutsches Mädchen heiraten würde und dann wird das eine vierte oder fünfte deutsche Generation. An der ganzen Eingliederung sehe ich schlimm, dass sich jetzt die türkisch gebliebenen Jungs über das Fernsehen ein türkisches Mädchen holen und dieses Mädchen froh ist, dass sie den Mann nach türkischen Maßstäben bedienen kann, also alles dasselbe, nur auf einem höheren wirtschaftlichen Niveau. Da sehe ich auf Dauer Sprengstoff, besonders wenn wir das akzeptieren und jede Kritik als Kriegserklärung ansehen.



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Wie sieht Ihre Utopie für eine lebbare Gesellschaft aus?
Die Utopie müsste bedeuten, dass nicht nur das Materielle, sondern wichtig erscheint mir ja auch die Gefühlssache.
Also man müsste gottgläubig sein, ein bisschen freundlich zu den Menschen, gefällig, das ist das eine. Das andere ist, man müsste keine materielle Not haben, nicht hungern, nicht frieren.
Man müsste freie Spielräume haben, sich bewegen dürfen, fahren dürfen. Das ist so meine Illusion.
Nach dem Krieg hat man ja geglaubt, Kinder jetzt kann es ja keinen Krieg mehr geben. Wer soll den denn führen? Und dabei gibt es jetzt über hundert Kriege nach dem Krieg.



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Welche Rolle spielt Politik in Ihrem Leben? Engagieren Sie sich in irgendeiner Form politisch?
Politik ist mein Leben. Für mich, von Gefangenschaft an, stand Politik immer im Mittelpunkt meines Lebens: Interesse an Politik, Wissen um Politik, Erlernen von politischen Vorgängen und natürlich Politik gestalten. Und da habe ich Glück gehabt, bis in diese Tage, Politik gestalten zu können.
Ich finde es fast unmöglich, was die da im Fernsehen verzapfen, die Politiker als Betrüger darzustellen. Das finde ich ganz schlimm, zumal diese Leute ja auch Politiker sind. Die betrachten Politik ja auch nicht nur als Schauspiel, sondern sie betrachten das ja auch als Gestaltungsraum. Die Journalisten wollen ja auch etwas beeinflussen. Ich weiß nicht, warum die jetzt so eine negative Stimmung machen. Also, in dem Moment, wo ich die Wahl nicht absolut gewinne, musst du ja eigentlich ein ganzes Wahlprogramm einstampfen und zu dem Kollegen, mit dem du jetzt zusammenkommst sagen: So Kamerad, wie machen wir das jetzt, wie regeln wir das Ganze?
Ich hab oft in Diskussionen auch zu Schülern gesagt: „Mein engster Kollege, in der Ratsarbeit, mein engster Kollege ist eigentlich der SPD-Mann, der dasselbe Gebiet bearbeitet, also der Sprecher für seinen Ausschuss. Z. B. der sich um die Stadtplanung kümmert oder der sich hier um das Viertel kümmert, der ist doch mein Kollege. Also muss ich aufpassen, dass ich mehr Bescheid weiß als er, ich muss aufpassen, dass ich mehr tue als er, aber im Grunde ist er mein Kollege.



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Wie lautet Ihr Wahlspruch?
Hellmich setzt sich für irgendwas ein. Dieser Wahlspruch des Einzelnen ist ja eine enorme Überschätzung. Ich alleine kann ja gar keine, ohne meine Partei kann ich ja gar keine Politik machen.
Wir wollen eine moderne Stadt, wir wollen eine gute Straßensituation… Aber das ist ja auch viel zu wenig, um eine Stadt zu gestalten. Wer nur mit einem Thema rum läuft und das dann fünf Jahre, der läuft sich ja tot mit seiner Idee. Das können ja nur einzelne Aktionen sein. Aber mein Ziel ist es doch, dass Köln eine Stadt mit vernünftigen Verkehrsverhältnissen, mit Sicherheit, mit Schulen, mit Sportplätzen… ich muss doch ein Gesamtbild schaffen.
Konkret kann man sagen: Ich habe hier einen Spielplatz, der sieht verwahrlost aus, hier möchte ich einen neuen schaffen. Ich werde dafür sorgen, dass der in Ordnung ist und dass die Kinder da spielen können.
Das ist doch zu wenig für Politik, dass kann eine Einzelperson machen, aber wenn man hier in der Stadt vorne mitspielen will, muss ich doch viel mehr bringen.



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Was bedeutet es für Sie in Deutschland zu leben? Ist Deutschland Heimat für Sie?
Ich möchte woanders nicht leben, aber Deutschland ist verdammt groß. Also wenn ich Deutschland sehe, habe ich drei Deutschland: mein Zuhause in Ostpreußen, dann Schleswig Holstein, wo ich heimisch geworden bin, und jetzt Köln.
Ich könnte jetzt gleichsetzen: Mein Deutschland heute ist Köln und hier lebe ich gern, ich mag die Stadt, ich mag die Menschen. Ich bin hier zufrieden.
Mein Heimweh nach Ostpreußen war riesig groß. Ich habe gedacht, ich muss da unbedingt noch mal hin und das habe ich auch gemacht und mein Heimweh war gestillt. Mein Kölner Kollege hat gesagt, wie kannst Du hier Heimweh haben? Hellmich wir verwöhnen Dich, Du darfst im Elferrat das Hänneschen spielen und überall bist Du dabei.
Mein Heimweh ist gestillt seit ich dort war. Meine Träumereien finden alle in Ostpreußen statt, aber Köln ist jetzt die Nummer 1. Ich mag das, die Kölner sind nett zu mir. Ich war ja hier in der CDU eine Zeit Vorsitzender der Vertriebenen gewesen, aber positiv vertrieben ist ja Integration.
Ich war nicht der Mann, der gedacht hat: Heimwärts ziehen, nach Osten und kämpfen. Mir haben Freunde gesagt: Musst du dich da so engagieren? Wir hätten dich doch lieber für gesamtkölner Aufgaben gehabt und die habe ich ja auch gehabt: Personalausschuss, Rat. Das sind ja schon Sachen mit Gewicht, wenn du sie wahrnimmst. Flensburg war auch eine schöne Zeit und da bin ich auch schnell heimisch geworden und auch da bin ich ja angetreten, für die Heimatvertriebenen zu sorgen, engagiert zu sorgen. Und das ist mir ja auch in Einzelfällen gelungen.



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Wie und wo haben Sie das Kriegsende am 8.Mai 1945 erlebt?
Ich war verwundet in Prag in einem Lazarett. Das Kriegsende lief in drei Phasen.
Die erste Phase, war der Abzug der deutschen Soldaten aus Prag. Das war für uns wie lebendig begraben. Wir blieben zurück und die bewaffneten Soldaten marschierten.
Die zweite Phase, dass sogenannte tschechische Widerstandskämpfer das Lazarett besetzten.
Der Chef dieser Widerstandshelden war der bisherige Chefmasseur, der sich jetzt als Kommandant ausgab und unserem Chefarzt die Pistole abnahm.
Das Kriegsende tatsächlich war dann der Einmarsch der russischen Soldaten in Prag.
Stürmisch bejubelt von der Bevölkerung.
Mir waren diese Soldaten sympathisch, äußerst sympathisch. Ich hatte das Gefühl, da kommen die Kameraden von einem anderen Feldposten, die sahen aus wie wir. Eine Kompanie, 30 Mann, mit einem blutjungen Leutnant als Chef, müde, lahm, die Uniform verschlissen. Ich hab das mal vorgetragen, auch als Zeitzeuge in einer Schulklasse, bin dort getadelt worden: „Wie können Sie diese Russen sympathisch finden? Sie sind Ostpreuße. Sie wissen doch, was die in Ostpreußen getan haben.“ Ich empfand das so: Ich hatte keinen Hass, keine Furcht, nix. Ich sah das als Ergebnis.



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Was hat die Währungsreform 1948 für Sie bedeutet?
Sehr viel. Das war das eigentliche Kriegsende.
Für mich persönlich: Erstens
haben meine Frau und ich uns bemüht, vor der Währungsreform noch zu heiraten, damit wir das ersparte Geld auf den Kopf hauen konnten. Also das war die beste Geldanlage.
Ansonsten haben wir mit diesem Stichtag beide unsere Arbeit verloren. Wir waren Angestellte bei der CDU. Die hatte kein Geld mehr.
Und ansonsten war die Überraschung, dass am Tag danach, dass nun alles da war in den Läden.
Alles, was man bisher nicht bekommen hat.
Ab jetzt ging es aufwärts.
Jeder bekam an dem Sonntag 30 DM. Das Geld auf den Konten wurde eingefroren.
Bei uns Flüchtlingen war das ganz schlimm. Die Banken aus dem Ostbereich wurden nicht umgestellt. Also, während du auf dem Konto in Flensburg umgestellt kriegtest von, ich weiß nicht eins zu zehn oder so, und das dann peu a peu abholen konntest. Mit dem Konto von Königsberg keine DM. Besonders ungerecht wurde es noch, wenn du als Königsberger dein Konto bei der Post gehabt hast. Das galt dann als ein Konto in Hamburg und du bekamst anteilig das Geld wieder.



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Wie haben Sie 1949 die Gründung der Bundesrepublik Deutschland erlebt?
Was ist die Gründung? Grundgesetz, Bundestagswahl!
Wenn du sagst Grundgesetz, da kann ich sagen, da hab ich mich schon vorher drei Jahre aktiv mit beschäftigt gehabt und ich fand das einen ganz großen Erfolg, dass Deutschland in etwa wieder an eine Staatliche Einheit kommt.
Als engagierter Politiker, der sich für die Vertriebenen einsetzte, habe ich gehofft, dass für uns etwas Konkretes eintraf, was dann auch geschehen ist:
1. eine bessere Verteilung der Vertriebenen auf die Bundesrepublik. In Schleswig Holstein, waren
in den Dörfern mehr Vertriebene als Eingeborene.
2. Ich habe gehofft, dass sich eine Bewertung des verlorenen Vermögens entwickelt, der
Heimatvertriebenen und der Ausgebombten. Da folgte der sogenannte Lastenausgleich per
Gesetz.
Ich bin ein bisschen stolz darauf, dass ich da einen kleinen Beitrag leisten konnte. Eigentlich hätte ich diesen Beitrag nennen können: Bauer sucht Frau. Denn schon damals war das so, dass auf den Dörfern die Bauernmädchen lieber Posschaften heirateten als einen Bauern, wo sie eventuell den Stall ausmisten mussten. Aber in den Flüchtlingslagern in Schleswig-Holstein, da saßen untätig die Bauernmädchen aus Ostpreußen, Pommern und so… Und wenn die jetzt einen Bauern heiraten würden, Paradies. Deshalb habe ich damals den Vorschlag gemacht, man möge die Lastenausgleichsabgabe einem Bauern erlassen, der ein Flüchtlingsmädchen heiratet unter der Voraussetzung, dass er ihr auch einen Anteil am Hof überschreibt.



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Was für Hoffnungen hatten Sie damals bei Gründung der Bundesrepublik Deutschland?
Nur positiv.
Deutschland gestaltete sich wieder als Einheit in einer Staatsapparatur. Wobei ich gerne in Kauf nahm, dass das nur die drei Zonen waren. Denn bei der Ostzone kommandierten die Kommunisten und ich glaube, mit den Kommunisten zusammen hätten wir keine Grundverfassung bekommen, wie wir sie gehabt haben, also die Zuwendung nach dem Westen. Die war mit den Ostleuten nicht zu erreichen, obwohl die Ostdeutschen ihren politischen Willen ja nicht äußern konnten. Die SPD ist ja zusammengeschlossen worden mit der KPD und wurde dann SED. Das wurde nichts. Da war das überlebensnotwendig, dass wir uns davon getrennt haben und den eigenen Weg suchten und den eigenen Weg suchten auch zusammen mit den Alliierten.



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Was waren aus Ihrer Sicht 1949 die wichtigsten Themen für Sie persönlich und für die Menschen mit denen Sie zu tun hatten? In welcher Form haben Sie sich damit beschäftigt?
Ein wichtiges Thema war, meine Ausbildung zu organisieren, also ein Studium zu beginnen.
Und Arbeit für meine Frau zu finden und auch ein paar Mark zu verdienen. Die Möglichkeit haben mir meine Professoren eingeräumt, indem ich mit denen wissenschaftliche Untersuchungen gemacht habe. Überwiegend zum Thema: Nachkriegsehe und Vertriebenenproblem.
Wenn du so willst, habe ich mir ja durch das Studium eine Auszeit genommen von der aktiven Politik, weil ich dachte, das sei wichtiger. Ich habe mich sehr engagiert im Studium. Wenn du verheiratet bist und eine Frau hast, stehst du unter einem Druck, auch was zu leisten im Studium. Ich habe dann auch noch Geld verdient als Interviewer, weil ein Teil der Arbeit finanziert wurde von der Ford Stiftung.



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Was waren aus Ihrer Sicht nach 1949 die wichtigsten Themen für Sie persönlich und für die Menschen mit denen Sie zu tun hatten? In welcher Form haben Sie sich damit beschäftigt?
Nach dem Studium konnte ich in den Beruf einsteigen. Da gab es noch eine schöne Geschichte, mit dem Helmut Schmidt. Der Helmut Schmidt war an unserer Hochschule Dozent für Verkehrspolitik. Ich war sein Schüler und sah ihn jede Woche ein Mal. Und als ich dann ein glänzendes Examen hingelegt habe, hat mein Professor gesagt: Geh mal zu dem Schmidt, der sucht da einen Mann für sich. Ich bin zu dem Herrn Verwaltungsdirektor Schmidt gegangen und der fragte dann als erstes: Sie sind in der CDU?! Es ist eine Unverschämtheit, dass ein Beamter, der Stellen zu vergeben hat, diese Frage stellte. Aber diese hatte ja hier keine Bedeutung, weil der Tatbestand bekannt war, und Schmidt hat mich natürlich nicht genommen. Ich habe volles Verständnis dafür, dass er das nicht getan hat. Denn so in der Nähe eines wichtigen Beamten, der parteipolitisch auch aktiv ist, da einen Menschen von der anderen Partei zu haben, hätte mir auch nicht gefallen.
Und was für mich viel wichtiger ist, durch seine Absage bin ich nach Köln gekommen.




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